Geheimnisvolle Klang-Geometrien

              

Geheimnisvolle Klang-Geometrien

Text von   Pirmin Bossart  Luzern        Dezember/Januar 2020/2021

zur  Klanginstallation    hängende Bleche – schwebende Klänge 
von  Andreas Wegmann  im Haus für Kunst Uri  in Altdorf

 

Das Anschlagen von Blech evoziert elementare Klänge.
Woher kommen sie, wohin gehen sie?
Wir hören es schwingen, hallen, dröhnen, rauschen, schimmern, schwirren, sirren.
Mechanischer Noise und sinnliche Vibration.
Sirenengesänge, der Atem von Kavernen und die Schatten ihrer Höhlengeister.

Ein dunkler Grundton schwillt an, breitet sich aus. Mit jedem neuen Schlag auf das Blech multipliziert sich das unterirdische Zentrum und wandert weiter, verdichtet sich, wird von den eigenen Wellen überlagert, schwingt aus. Da sind plötzlich neue Frequenzen im Raum, die wie ein Eigenleben führen. Die autonom aus dem Raum heraus ihre Wölbungen formen, in repetitiven Spiralen weiter pulsen. Quasare von Oberton-Geometrien, die gesetzmässig entstehen, abstrahlen und wieder vergehen.

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23 unterschiedlich grosse Bleche hängen im Haus für Kunst Uri an einer Bambus-Konstruktion,
die sich in einer langen Linie durch zwei Räume zieht.
Die Klanginstallation «Hängende Bleche – Schwebende Klänge» von Andreas Wegmann ist ein sinnliches Erlebnis. Die Bambusstelzen mit ihren baumelnden Chromstahl-Körpern wirken so fragil wie urtümlich. Das Rückgrat der Installation bildet ein System von sich fortlaufend ändernden Proportionen der  Bleche, das sich an der Naturtonreihe orientiert. Der visuelle Charakter wird mit farbigen Zeichnungen auf den Blechen nochmals erweitert. Wegmann hat darauf in minutiöser Arbeit die Flächenteilungen der Obertöne als streng geometrische Netzwerke dargestellt und mit den dazugehörenden Zahlen versehen. So wirken die Bleche wie poetische Funktionsdiagramme oder alchemistische Mandalas und sind ein Kunstwerk für sich.

Mit diesen Bildebenen und ihrer räumlichen Anordnung wird die klingende Materialität der angeschlagenen Bleche erst richtig zum umfassenden Bild-Ton-Erlebnis. Je nachdem, wo und wie die Bleche angeschlagen werden, erklingen verschiedene Akzentuierungen von hochgradig polyphonen FrequenzspektrenSchnell zeigt sich, dass sich die Klangwelt der Bleche am besten mit dem ganzen Körper erfahren lässt. Es ist ein Vorgang, der sich wie von selbst ergibt. Wir liefern uns den Schwingungen aus, üben Nicht-Denken, tanzen  Schallwellen, lassen uns massieren. Verschiedene Schichtungen von Dröhnungen und Hallräumen öffnen und überlagern sich. Nichts kommt einander in die Quere, es sei denn das Restvolumen an Hörerwartungen, die man sich auch dann angeeignet hat, wenn man sie stets zu vermeiden versuchte.

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Wie gelangt man mit Sprache, die das sinnlich Erlebbare der Klangereignisse nahebringen will, in die DNA dieser Klänge? Das physikalische Setting zu beschreiben, das die Mathematik der Klangkonfigurationen aufschlüsselt, ist die eine Seite. Es hat mit messbaren und wissenschaftlich begründbaren Phänomenen zu tun. Aber wie lässt sich das emotionale Erlebnis differenziert ausdrücken? Dass das pure Klangereignis zunächst eher monochrom erscheint, weist auf die Abwesenheit von melodisch-harmonischen Vielschichtigkeiten hin, die in den Hintergrund treten respektive in diesem Kontext viel reduzierter auftreten. Das Ohr, das sich an die farbige Komplexität der herkömmlichen Musik gewohnt ist, muss neu zoomen lernen. Und sich einschwingen auf eine Grundanordnung des Klingens, aus der erst das Spiel der Melodien und Harmonien in der elaborierten Praxis des gängigen Musikmachens entsteht.

Mit einem Duo und zwei Trios, in denen er selber mitwirkte, hat Andreas Wegmann im Corona-Winter 2021 seine Installation zum Klingen gebracht. Was geschieht, wenn akustische Instrumente mit den angeschlagenen Blechen in Austausch treten? Dann verhalten sich die Bleche wie Findlinge aus der Frühzeit der Klänge. Beharrlich stehen sie in der Landschaft zeitgenössischer Expression und absorbieren in stoischer Abgebrühtheit alles, was auf sie einschwingt. Sie verspeisen auch die Bluesriffs, die eine Gitarre anschlägt, und senden sie in die Galaxie der reinen Schwingung. Und wenn der Blues zurückkehrt, hat er einen dicken Mantel aus multiplen Frequenzen, eingewoben mit elektronischen Manipulationen, die von der Oberfläche der Findlinge abstrahlen.

Im Verbund mit Instrumenten wird die Klangwelt der Bleche zum alles einschmelzenden Biest der Schallenergie. Wir tappen in seinem Bauch durch die Gewölbe, in denen die Schatten von unzähligen Musikpartituren herumflackern. Hier ist alles möglich, vom Dröhnen des Gong-Orchesters bis zur zarten Vibration eines Flügelschlags. Verborgene Soundwelten klingen an, die noch unerforscht sind.

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Mit den hängenden Blechen reisen wir in die imaginierten Urknall-Territorien der Schallwellen. Mit jedem Anschlag des Klöppels entsteht ein neues Universum. Es sind klingende Reflektionen von Energiefeldern, die mit tausend anderen Schwingungen und Wellenmustern zu den physikalischen Bausteinen der Natur gehören. Das Hineinhören in die Schallwellen gleicht auf der Mikroebene einem Hineinzoomen mit dem Elektronenmikroskop in die Atomstrukturen der Moleküle. Je tiefer wir zoomen, desto weiter wird der Space zwischen den Partikeln, bis der einzelne Partikel nicht mehr eruierbar, aber als energetisches Muster anwesend bleibt. So verhält es sich auch mit dem einzelnen Schallereignis eines Bleches: Es wird umso geheimnisvoller, je mehr es sich vom Donnergrollen des ersten Anschlags entfernt und in subtilsten Wellennuancen bis ins Unhörbare ausklingt.

Die Installation «Hängende Bleche – Schwebende Klänge» ist jenseits ihrer eigenwilligen Bild-Ton-Ästhetik eine hervorragende Werkstatt, um das Sensorium zu weiten und auf dem Lehrpfad des Wahrnehmens vielleicht ein paar schwarze Gürtel weiterzukommen. Der Meister ist die kosmische Energiestruktur, die sich auch als Klang manifestieren kann und jedes Ding und Lebewesen durchdringt. Die Schüler und die Schülerinnen sind wir.

Was hören wir, wenn etwas klingt?

 

 

 

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